Offener Brief an die Leipziger Stadtgesellschaft zu geplanten Kürzungen in den Bereichen Gewaltschutz und Gleichstellung, Kultur und freie Szene, soziale Arbeit, Kinder- und Jugendarbeit und Demokratieförderung
Leipzig steht vor großen finanziellen Herausforderungen. In den aktuellen Diskussionen zum Doppelhaushalt 2025/26 – und noch deutlicher im Blick auf die Folgejahre 2027/28 –wird immer wieder von massiven finanziellen Einsparungen gesprochen. Noch sind keine endgültigen Beschlüsse gefasst. Aber schon heute ist klar: bei sogenannten „freiwilligen Leistungen“ wird der Rotstift angesetzt und Sektoren wie Gewaltschutz und Gleichstellung, Kultur und freie Szene, soziale Arbeit, Kinder- und Jugendarbeit und Demokratieförderung sind bereits seit Jahren chronisch unterfinanziert. Doch diese Arbeitsfelder sind keine „freiwilligen Leistungen“, die man je nach Kassenlage streichen kann. Sie sind Grundpfeiler einer demokratischen und gerechten Stadtgesellschaft. Jeder zusätzliche Einschnitt würde Strukturen zerstören, die ohnehin schon am Limit arbeiten und stetig steigende Bedarfe kaum bewältigen können.
Gerade jetzt, in einer Zeit wachsender sozialer Spaltungen, steigender Gewalt, zunehmender rechtsextremer Bedrohungen und massiver gesellschaftlicher Unsicherheiten, ist es fatal, hier den Rotstift anzusetzen. Eine Stadt, die Gleichstellung und Gewaltschutz schwächt, die ihre kulturelle Vielfalt beschneidet, die ihre Inklusion einschränkt und die ihre soziale Infrastruktur ausdünnt, verliert nicht nur an Lebensqualität – sie gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt.
Doch wir erleben bereits jetzt, wie Vereine und Projekte an ihre Grenzen kommen: Egal ob in der Gleichstellung, der Prävention, der politischen Bildungsarbeit – Bescheide werden nicht verschickt, zugesagte Fördermittel werden eingefroren oder gestrichen.
Jüngst kündigte die Stadt Leipzig einseitig die Verträge mit freien Kindertagesstätten in der Stadt. Auch andere Träger kämpfen mit steigenden Bedarfen und stagnierenden Mitteln. Gleichzeitig zeigen die Entwicklungen auf Landesebene, wie dramatisch die Folgen ausbleibender oder gekürzter Förderung sind: So sank die finanzielle Förderung der Ganztagsangebote an sächsischen Schulen von 45 Mio. € auf 33 Mio.€.
Auch Fördermittel der Förderrichtlinie Inklusion in der Kultur wurden stellenweise komplett gestrichen – mit der Folge, dass unter anderem auf dem Filmfestival DOK Leipzig statt 30 nur noch 6 barrierefreie Filmfassungen ermöglicht werden konnten, und das allein durch ein Crowdfunding . Und auch dort wo städtische Finanzierung nicht gekürzt wurde müssen Vereine bangen: Beratungs- und Unterstützungsangebote wie bei Mosaik Leipzig e.V. verlieren immer wieder wertvolle Ressourcen, weil sie fast ausschließlich in kurzfristigen Projektstrukturen arbeiten. Vereine wie RosaLinde e.V. mussten Angebote sogar zurückfahren oder einstellen.
All das zeigt: Nicht nur Kürzungen bedrohen unsere Arbeit, auch das schleichende Austrocknen durch unzureichende Finanzierung gefährdet die Zukunft unserer Stadt.
Wenn die Stadt Leipzig hier weiter spart, trifft es nicht nur einzelne Einrichtungen, sondern die Grundlagen unseres Zusammenlebens. Wer bei Schutzhäusern oder Beratungsstellen streicht, gefährdet den Schutz vor Gewalt. Wer Jugendclubs oder soziokulturelle Zentren schwächt, nimmt Kindern, Jugendlichen und Familien wichtige Räume der Unterstützung. Wer Kulturhäuser und Bildungsstätten schließt, verhindert Begegnung und gesellschaftliche Teilhabe. Wer Prävention und inklusive Teilhabe zurückbaut, verschärft Ausgrenzung und fördert gesellschaftliche Spaltungen. Wer Demokratieprojekte und politische Bildung aushungert, überlässt das Feld jenen, die unsere demokratische Gesellschaft angreifen. Damit steht weit mehr als eine Förderlinie auf dem Spiel: es geht um den Schutz von Grundrechten, um gleiche Chancen für alle Leipzigerinnen und Leipziger und um die demokratische Zukunft dieser Stadt.
Diese Entscheidungen dürfen nicht ohne uns getroffen werden. Wir werden nicht abwarten, bis Vereine verschwinden, weil ihnen nach und nach die Luft abgeschnitten wird. Wir wollen die Zukunft dieser Stadt aktiv mitgestalten und dafür streiten, dass Leipzig vielfältig, solidarisch und demokratisch bleibt.
Wir sagen klar: Diese Arbeit darf nicht kaputtgespart werden!
Darum rufen wir alle Vereine, Initiativen, Einrichtungen, solidarische Bürgerinnen und Bürger und Verbände auf: Lasst uns jetzt gemeinsam sichtbar werden, die Stimme zu erheben und deutlich zu machen: Leipzig braucht eine starke demokratische Zivilgesellschaft, die verlässlich gefördert und unterstützt wird. Denn ob Gewaltschutz, Präventionsarbeit, Integration, Kultur, Inklusion, Demokratieförderung oder Kinder- und Jugendarbeit: Unsere Arbeit ist miteinander verwoben. Nur gemeinsam können wir das Leipzig erhalten, das wir brauchen – ein Leipzig, das allen Menschen Schutz, Perspektiven und Räume für Begegnung bietet.
Diese Erklärung ist ein Anfang. Ein Signal nach außen – und eine Einladung nach innen:
Lasst uns die Kräfte bündeln, gemeinsam Verantwortung übernehmen und ein wachsames Auge auf die Haushaltsentscheidungen werfen. Jede Person und Organisation, die sich dieser Erklärung anschließt, macht sichtbar: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren. Wir stehen zusammen – für ein Leipzig, das eine vielfältige, solidarische und demokratische Zukunft hat.
Liste der Unterstützer*innen (nach Institutionen und Personen alphabetisch):
- Aidshilfe Leipzig
- Bellis e.V.
- CABL e.V.
- Conne Island
- Feministischer Streik Leipzig
- Feminist Rebellion
- Frauenkultur e.V. Leipzig
- Carmen Wendt, Opferschutzbeauftragte der Polizeidirektion Leipzig
- Frauen für Frauen e.V. Leipzig
- Freiwilligen-Agentur Leipzig e.V.
- Gesellschaft für Gemeinsinn e.V.
- Handstand und Moral
- Haus der Demokratie Leipzig e.V.
- Independent Living
- Institut für psychosoziale Gesundheit
- Internationale Frauen Leipzig e.V.
- Kinder- und Jugendzentrum HALLE 5 e.V.
- krudebude e.V.
- Leben mit Handicaps e.V.
- lemann e.V. Netzwerk Jungen- und Männerarbeit Leipzig
- Nadine Berger – Praxis für Psychologie
- Netzwerk Tolerantes Sachsen
- Omas gegen Rechts Leipzig
- Poliklinik Solidarisches Gesundheitszentrum Leipzig
- Praxis für Psychotherapie
- Psychotherapiepraxis Cornelia Brück
- RAA Leipzig e.V.
- Refugee Law Clinic Leipzig e.V.
- RosaLinde Leipzig e.V.
- Straßenkindergarten e.V.
- Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V. – Leipzig
- VILLA gGmbH
- Wellemachen e.V.
- WERK 2 Kulturfabrik Leipzig e.V.
Privatpersonen:
- Alexandra
- Alisa Cossa
- Anna Holländer
- Dr. Barbara Pögl
- Bettina Kupke
- Carmen Lopez de las Heras
- David Paydar
- Falko Walter
- Fridu Schlager
- Heide Glaesmer
- Jana
- Jens Wittmann
- Jim Kühnel
- Josephine Funke
- Jula Jowanowitsch
- Lara Stiller
- Manuel Müller
- Marion Michel
- Mona Saeger
- Natalie Wagner
- Raoul Nozon
- Sandra Dietzel
- Sonja Weingarten
- Steven Wallner
- Tobias Habermann
- Tobias Krakau