Das Leipziger Bündnis Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch bestehend aus Vereinen, Institutionen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft wendet sich in einem offenen Brief an die Verantwortlichen des Leipziger Opernballs sowie an die beteiligten Sponsor:innen. Anlass ist die Einladung des Rammstein-Sängers Till Lindemann zum diesjährigen Ball im Oktober 2025.
Das Bündnis zeigt sich irritiert darüber, dass einer Person, gegen die schwerwiegende Vorwürfe sexualisierter Übergriffe und Machtmissbrauchs öffentlich erhoben wurden, eine Bühne auf einer städtisch getragenen Veranstaltung geboten wird. In dem Schreiben mahnt das Bündnis die gesellschaftliche und moralische Verantwortung der Veranstalter:innen an und warnt vor einem „fatalen Signal“ an Betroffene sexualisierter Gewalt.
„Vielfalt endet dort, wo die Würde anderer verletzt wird“, heißt es im Brief. Juristische Unbedenklichkeit könne keine moralische Entlastung bieten. Das Bündnis fordert die Verantwortlichen auf, Haltung zu zeigen und sich klar gegen die Bagatellisierung sexualisierter Gewalt zu positionieren.
Mit dem offenen Brief ruft das Bündnis dazu auf, dass Kulturinstitutionen in Leipzig ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und Veranstaltungen künftig mit den Werten von Gleichstellung, Respekt und Schutz vor Gewalt vereinbaren.
Offener Brief zum Leipziger Opernball im Oktober 2025
Leipziger Bündnis Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch
Sehr geehrte Frau Honert-Boddin,
sehr geehrte Frau Fenger,
sehr geehrter Herr Wolf,
sehr geehrte Vertreter:innen der beteiligten Sponsoren,
Mit großer Irritation haben wir, das Leipziger Bündnis Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch, von der Einladung des Rammstein-Sängers Till Lindemann zum diesjährigen Leipziger Opernball erfahren.
Wir möchten betonen: Es geht uns nicht um die mediale Figur einer einzelnen Person, sondern um die gesellschaftliche Verantwortung, die Sie als Veranstaltende und Fördernde eines geprägten Kulturevents in städtischer Liegenschaft tragen.
Dass eine Institution wie die Opernball Leipzig Produktion GmbH – gemeinsam mit der Oper Leipzig – einer Person eine Bühne bietet, gegen die schwere Vorwürfe sexueller Übergriffe und Machtmissbrauchs öffentlich erhoben wurden, sendet ein fatales Signal.
Auch wenn das strafrechtliche Verfahren eingestellt wurde, bleibt folgende Frage im Raum: Sind das Verhalten Lindemanns und die festgestellten Rekrutierungskampagnen durch seine ehemalige „Casting Direktorin“ für sexuelle Leistungen auch moralisch unproblematisch?
Die Frage steht stellvertretend für eine Realität, in der Machtmissbrauch gegenüber Frauen allzu oft folgenlos bleibt und Betroffene mit Missachtung, Relativierung und Victim Blaming konfrontiert und Täter in Schutz genommen werden. Die Diskussion über das moralische Fehlverhalten mächtiger Personen wie Lindemann wird zu häufig beendet, sobald strafrechtliche Ermittlungen eingestellt werden. Es wurde mit sexualisierter Gewalt in Form von Unterhaltung Profit gemacht, während gleichzeitig eben diese Gewalt für zahlreiche Kinder und Frauen immer noch eine allgegenwärtige Realität ist, mit Folgen für ihr ganzes Leben. Die Täter werden in den seltensten Fällen verurteilt (Verurteilungsquote 8,4 %) oder in die strafrechtliche und moralische Verantwortung genommen.
Wir, die alltäglich mit Sexismus, sexualisierter Gewalt und patriarchalen Strukturen befasst sind, kennen diese Muster nur zu gut.
Gerade deshalb irritiert uns Ihr wiederholter Verweis auf „Vielfalt“ und „juristische Unbedenklichkeit“. Vielfalt endet dort, wo die Würde anderer verletzt wird. Juristische Unschuld ist kein moralischer Freifahrtschein.
Damit wir als Gesellschaft hier endlich einen Wandel erfahren, braucht es Haltung von uns allen. Haltung, dass ein solches Verhalten verurteilt wird, dass es nicht zur Unterhaltung dient.
Ein Ball, der sich mit Stil und Wohltätigkeit schmückt, während er zugleich bewusst in Kauf nimmt, dass sich Überlebende sexualisierter Gewalt und Missbrauch verhöhnt fühlen, verfehlt seinen gesellschaftlichen Anspruch.
Wir erwarten von den Organisator:innen, den Sponsor:innen und den städtischen Partner:innen klare Haltung:
- gegenüber der Bagatellisierung von sexualisierter Gewalt,
- gegenüber der Instrumentalisierung von „Vielfalt“ zur Entpolitisierung solcher Entscheidungen und
- gegenüber der Verantwortung, die Kulturinstitutionen in einer demokratischen und gleichberechtigten Gesellschaft tragen.
Der Leipziger Opernball steht für viele Menschen stellvertretend für die gesamte Stadt Leipzig. Lassen Sie uns daher gemeinsam sicherstellen, dass Leipzig weiterhin als Stadt wahrgenommen wird, die sich kompromisslos für die Sicherheit von Mädchen und Frauen positioniert. Wir geben in unserer täglichen Arbeit mit Betroffenen alles uns Mögliche, um eine Gesellschaft zu schaffen, die für Mädchen und Frauen sicher ist.
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich klar positionieren. Gern unterstützen wir Sie dabei, Ihre Veranstaltungen künftig mit den Werten der Gleichstellung, des Respekts und des Schutzes vor Gewalt zu vereinbaren und würden hierzu auch ein Gespräch mit den Organisator:innen sehr begrüßen.
Mit freundlichen Grüßen,
Leipziger Bündnis Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch
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